Szenische Skulptur in der Reihe „echtzeit“ Mit > Katharina Bihler, Dubravka Musovic, Olafur Sigurdarson; Diriget: Christophe Hellmann, Kostüm > Ellen Hoffmann, Bildkomposition > Hannah Groninger/Penelope Wehrli; Regie/Raum > Penelope Wehrli
Der Prolog: Auf die transparente Fläche im Portal ist ein langsam suchender Gang durch eine nächtliche Stadtlandschaft projiziert, die mitgenommene Papierwelt einer verlassenen Spielzeugeisenbahn. Die Performerin Katharina Bihler bewegt sich hinter dieser Landschaft und trägt mit der Exaktheit einer Wissenschaftlerin das Märchen von "Blaubart" vor, bis sie von den Stimmvorgängen des Orchesters unterbrochen wird. Es folgt die Beschreibung der Funktionsweise einer Atombombe und der Bericht aus einer psychotherapeutischen Praxis:
Ein achtjähriger Junge quält und tötet einen Kanarienvogel.
Die Oper: Vor dem Orchestergraben im Zuschauerraum steht eine rote Couch, ein Lehnstuhl, darauf eine Frau mit Notizblock, auf der Couch ein gutgekleideter Herr. "Das ist meine Burg, Blaubarts Burg", singt er auf ungarisch. "Kommst Du mit, Judith?" "Ja", sagt die Therapeutin.
„Die ganze Oper als psychoanalytische Therapiesitzung - ein ebenso einfacher wie genialer Gedanke. Es ist verblüffend, wie selbstverständlich sich der Dialog zwischen Blaubart und Judith in diese formale Vorgabe einfügt. Und es ist erstaunlich, welche Wirkung der Text entfaltet: Nicht die Frau geht ängstlich zitternd durch die düsteren Kammern der Burg, sondern Blaubart. Die Festung als Sinnbild seiner Seele, die verschlossenen Räume, die schrecklichen Dinge, die sich hinter den Türen verbergen.
Es geschieht etwas Seltsames an diesem Abend: Durch das so mitleidlos erzählte Märchen, durch die nüchtenen Schilderungen der Atombombenexplosion und der Grausamkeit eines Achtjährigen kommt man mit einem Hunger nach Mitgefühl in die Oper. Und man sieht die Angst des Mannes, der doch eigentlich das Monster sein soll - und bedauert ihn. (...)